Donnerstag, 21. Oktober 2010

Sind wir Residenten bessere Europäer?

Ein Kommentar von Roman Stadtmüller


Jeden Tag wird im Europaparlament, der Europäischen Kommission und den Länderparlamenten an der Gemeinsamkeit Europas herumgebastelt. Neue Gesetze werden beschlossen und Richtlinien herausgegeben. Es ist wahr: Es geschieht etwas in Europa, doch immer noch sind wir weit entfernt von dem wirklich gemeinsamen Europa, dem Staatenbund Europa, den Vereinigten Staaten von Europa, oder wie immer man das Gebilde einst nennen wird, wenn es denn überhaupt je kommt. Der Weg dorthin ist sicher noch weit, aber erste Schritte in diese Richtung sind bereits getan und weitere werden folgen. Schon wird geredet über eine gemeinsame Außenpolitik, Wirtschafts-, Rechts- und Arbeitsmarktpolitik. Wir haben eine Art „Europäische Außenministerin“ und sogar einen „Europäischen Quasi-Ministerpräsidenten“. Mit viel Macht sind sie ja nicht ausgestattet, aber immerhin sie existieren bereits und ab und zu tauchen sie sogar auf den TV-Bildschirmen auf. Ihre Namen kennt zwar kaum jemand, aber sie bereiten fleißig den Boden für die kommenden politischen Schwergewichte vor. Etwa für Angela Merkel? So mancher glaubt daran, dass sie, wenn ihr das Regieren von Deutschland zu wenig wird, nach höherer Macht strebt. Warum auch nicht? Sie wäre bestimmt eine gute Europa-Ministerpräsidentin. Und dann hätten all die Recht behalten, die Angela Merkel schon heute als „mächtigste Frau der Welt“ sehen. Und dann ist da noch Guido Westerwelle. Westerwelle als Europas Außenminister? Möglich wär’s schon, aber auch wahrscheinlich?

Doch reden wir nicht über die Großkopferten. Reden wir über uns Residenten, die wir schon längst das wahr gemacht haben, was uns das Schengen-Abkommen erlaubt: die Niederlassungsfreiheit jedes im gemeinsamen Europa lebenden Bürgers im Land seiner Wahl. Na ja, aus reiner Europa-Begeisterung haben wir bestimmt nicht unser Heimatland verlassen, das wäre unwahr. Es waren viel profanere Gründe, etwa von Deutschland oder England nach Spanien oder von Österreich nach Ungarn oder Polen überzusiedeln. Die Nord-Süd-Wanderung wird eindeutig vom besseren Wetter im Süden bestimmt und die West-Ost-Wanderung von dem Wunsch nach selbstständiger Arbeit in einem Land, das Unternehmer braucht. Wer von Osten nach Westen wandert, hat wiederum andere Gründe für den Wechsel. Wir Residenten sind also keineswegs aus der Begeisterung für Europa in ein anderes Land der EU eingereist, um dort zu leben und zu arbeiten oder den Lebensabend zu verbringen. Und doch beobachten wir sehr interessiert das Geschehen in den Europäischen Gremien mit ihrer Gesetzgebung. Wir hätten gerne einen Europäischen Personalausweis, einen Europa-Reisepass, eine Europa-Kranken- und Pflegeversicherung, einen Europa-Führerschein und, und, und. Einiges ist ja schon zur Realität geworden, anderes braucht noch Zeit. Was unser Informations- und Kommunikationsbedürfnis angeht, können wir zumindest respektable Teilerfolge feststellen. Das Telefonieren über Grenzen hinweg ist einfacher und auch billiger geworden, wir schreiben e-mails noch und nöcher, fliegen hin und her mit Billigangeboten, lesen Deutsches in deutschen Online-Zeitungen und Zeitschriften und gucken deutsches Fernsehen über Satellit wie in der Heimat. Kurz und gut, wir sind bestens informiert. Und da wir so gut informiert sind, was natürlich auch auf die uns zur Verfügung stehende größere Freizeit zurückzuführen ist, kümmern wir uns viel mehr um Politik. Und genau darin liegt für uns Residenten das Problem. Mit großer Zufriedenheit stellen wir fest, dass es Deutschland wieder besser geht nach der Krise. Ganz anders verhält sich die Sache in unseren Gastländern. Nehmen wir uns nur mal Spanien vor. Nachdem die Immobilenblase geplatzt ist, kommt das Land einfach nicht richtig aus dem Tal der Tränen. Nicht nur das Land ist hoch verschuldet, sondern auch ihre Bürger. Irgendwie sind die meisten Familien betroffen von der Krise, entweder durch Arbeitslosigkeit oder privater Überschuldung oder beides. Doch merkt man davon etwas? Für uns Deutsche grenzt es schon an ein Wunder, dass es immer noch gesittet und ruhig zugeht in Spanien. Außer einem Generalstreik keine weiteren Demos oder gar Ausbrüchen von Gewalt. Alles sieht aus wie immer. Die Menschen sitzen in den Cafes, essen ihre Churros und schlürfen ihren heißen Cafe con leche. In Deutschland wäre das anders. Wer jetzt schon demonstriert, weil ein alter Bahnhof abgerissen und ein neuer unter die Erde verlegt werden soll, was macht der erst, wenn er kein Geld und keine Arbeit mehr hat und keine Aussicht besteht, dass er da schnell wieder rauskommt? Man will sich das gar nicht erst vorstellen. Gerade mit dem Vergleich zwischen den Zuständen in Spanien und Deutschland können wir die Spanier richtig bewundern. Sie setzen, genau wie ihre Residenten auf die Gemeinschaft Europas, auf ihre Solidarität und ihr Wohlwollen. Umgekehrt zeigen die Deutschen großes Interesse an allem Spanischen. Das kann man aus den Berichten der deutschen Presse entnehmen, die sich intensiv mit den „cosas espanoles“ beschäftigt.

Für mich ist es beruhigend zu wissen, dass die Spanier genauso denken wie wir Residenten. Auch wir setzen nach wie vor auf Europa und wünschen uns, dass eines Tages Andalusien das Bayern Europas wird.

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